[B]logbuch #03 – Strecke machen
Ja, ich habe lange nicht mehr geschrieben. Die Zeit auf Tour zu finden ist manchmal nicht ganz leicht, da man erstmal schauen muss, wo man unterkommt und dass man was warmes zu essen hat. Aber ich werde jetzt so langsam die Berichte nachpflegen. Und: Nein. Ich bin nicht mit Hallouzinogenen Stoffen in Berührung gekommen. Ein Fiebertraum war es auch nicht, aber es kommt dem schon sehr nah.
Das ist der erste Katertag der Tour. Tag 3. Klasse! Ich sitze erst um 13:00 Uhr auf dem Rad und muss auch noch beschließen mein Tagesziel etwas runterzuschrauben. Ich schaffe nach der durchgezechten Nach nur noch 70km am Rhein. Aber was soll’s. Ich bin ja nicht auf einem Wettrennen, wenn auch meine Motivation ist möglichst schnell den deutschen Teil der Strecke hinter mir zu lassen. Irgendwie erscheint mir alles im Inland wie eine Banalität. Ich hoffe südlich der Alpen auf richtige Herausforderungen zu stoßen. Also erstmal schön Strecke machen. Aber heute ist mir das im Angesicht der Umstände egal. Immerhin erster Abend mit Kochen und erste Nacht in Zelt – auch noch bei Regen.
Auch am Morgen mache ich mir kein Stress sondern nutze die Zeit für eine kleine Bastelstunde. Da die Halterung der Lowrider nicht gut an meinen Fromtgepäckträger passen, muss ich die Halterung um 180 Grad drehen. So dass schließlich die Haken etwas höher und näher am Rohr des Gepäckträgers sitzen. Außerdem – da freue ich mich besonders drauf, muss ich die Halterung meiner Solarpaneelen optimieren. Diese sitzen nun sicherer und leisten noch am gleichen Tag volle Arbeit. Schließlich baue ich aus der Isomatte und dem Selfiestick einen grandiosen Seitenausleger für die GoPro. 1m Nutzlänge und quasi entkoppelt.

Diese Spielereien halten mich gerade etwas bei Laune, denn der Weg am Rhein ist relativ eintönig. Viel Tourismus und keine Überraschungen. Es ist gut zulmKilometer machen und ich möchte diesen Teil der Strecke schnell hinter mir lassen. Ich bin irgendwo zwischen Mainz und Wiesbaden, während ich beschließe die Etappe zu beenden. Als am nächsten Tag hinter Mainz die Strecke auch noch somdrmaßen beschissen wird hilft nur noch eins: Musik anmachen. Die Lautsprecher befestige ich unter dem Lenker. So langsam habe ich das Gefühl, das perfekte Reiseras entworfen zu haben. Erste Scheibe der Tour: Natürlich der Into the Wild-Soundtrack! „I have realized a planet out of sight. A nature drunk and wild. Set forth in the universe.“
Auch später am Abend bringt mich „Shadow of the Season“ – danke Mario – für meinen Endspurt zur Necksrbrücke vor der Heidelberger Altstadt in Stimmung. Den Rhein hinter mir geht es nun querfeldein zu der wahrscheinlich schönsten Stadt am Neckar. Schade, hier kann man nicht Architektur zu Ende studieren. Aber es gibt unglaublich gutes alkoholfreies Weizen auf dem Marktplatz und verdammt viel Sonne. Gott, gehts mir gut. Meine Oberschenkel brennen von innen und von außen und das Weizen lässt die Anstrengung vergessen.

Nun treffe ich mich mit Hannes, welcher mich bei ihm pennen lässt. Dafür muss ich dann das erste mal auf der Tour das Rad einen Berg rauf schieben, da er einfach zu steil ist. Aber hey. Es heißt „Mit dem Rennrad nach Gibraltar“ nicht „Auf dem Rennrad…“.
Hannes wohnt am hang zum Neckar in einem Haus mit 7 weiteren Personen. Er ist total nett, macht essen für das halbe Haus während ich dusche. Er zeigt mir noch den hauseigenen Gemüsegarten und die Hühner. Während unseres Gespräches fliegt der Hahn über den Zaun um sich am Gemüse zu vergwhen. Wir fangen ihn ein und Hannes stützt ihm kurzerhand die Triebfedern. Sorry kleiner, das war es mit deiner Freiheit. Ich darf meine behalten.
Wir unterhalten uns den Abend über Selbstversorgung und Radreisen. Hannes ist selber sehr aktiv. Er fuhr letztes Jahr mit seiner Freundin mit dem Fahrrad von Alaska nach Südamerika. Außerdem kam er gerade von einem zweiwöchigen Aufenthalt auf der Sea-Watch wieder. Er erzählte von überbesetzten und Menschen, die an Board gezogen wurden. Von verlorenen Flüchtlingsbooten, verstummende Springs auf dem Radar und Menschen, die das rettende Ufer nie erreichen. Ebenso von einer überfüllten Seawatch und Militärschiffen, die sie von der Versorgung mit Wasser und Lebensmitteln abhalten. Für Hannes waren die zwei Wochen ein prägendes Erlebnis. Wir sind uns einig, dass das Fluchtproblem mit den Hunderten Familien, Freunden und Mitmenschen, die noch immer im Mittelmeer ersaufen zwar von der Politik nicht ausreichend angegangen wird, in dem Fall aber besonders viel Verantwortung bei der Presse liegt, welche nach wie vor kaum über die Situation am Mittelmeer berichtigt.
Heute schlsfe ich ein und bin froh erneut bei so tollen Menschen unterkommen und gleichzeitig macht es mich wütend zu wissen, dass auch heute Nacht wieder jemand im Mittelmeer ertrinken wird. Vielleicht sollte das Ziel nicht mehr Gibraltsr sein, sondern der nächste Mittelmeer-Hafen an dem die Seawatch anlegt. Statt 7 Wochen Egotrip vielleicht auch mal zwei Wochen was gutes tun. Etwas mit Sinn.

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