[B]logbuch #04 – Ein Rennrad ist kein Mountainbike
Hannes hatte mir den Tipp gegeben nicht dem Neckar ganz zu folgen, sondern bereits nach kurzem entlang der Elsenz zu fahren. Einerseits schade, denn das erste Stück am Neckar gefällt mir ganz gut. Deutlich angenehmer als der Rhein, denn hier wimmelt es nicht von Kreuzfahrtschiffen und Kaffeefahrten. Man muss auch nicht in jedem Dorf schieben, denn Promenaden gibt es kaum noch.
Das Stück an der Elsenz zieht sich zumeist über Hügellandschaften und durch kleine Dörfer. Allerdings muss ich auch schnell feststellen wo die Grenzen meiner Kraft und eines völlig überladenen Rennrads liegen. Der Heuchelberg verlangt mir alle Kräfte ab zunächst ein Stück an der Bundesstraße herauf und dann in die deutlich schöneren und auch steileren Weinberge. Ich schaffe es so gerade durch Kreuzen bergauf und als ich gerade an der vermeintlichen Spitze bin – ich deute mein Navi falsch – fahre ich auf der anderen Seite der Weinberge wieder runter. Das Ganze nur um festzustellen, dass ich falsch abgebogen bin. Das erste mal auf der Tour muss ich schieben und zwar einen ziemlich steilen bewachsenen Wirtschsftsweg zwischen den Weinreben entlang. Unter Fluchen schleppe ich mich hoch und die nicht so steilen letzen paarhundert Meter an der Bundesstraße zehren an meinen letzten Kräften. Ich bin fix und fertig.

Später finde ich mich bei zwei alkoholfreien Weizen – bisher das Trendgetränk der Tour – in einem kleinen Weindorf am Neckar wieder um wieder Kraft und Motivation zu tanken. Der nächste Berg kommt bestimmt. Nämlich direkt im Anschluss. Dieses mal resigniere ich bereits beim Anblick und schiebe direkt. Nicht weil es einfacher ist, sondern möglich.
In Ludwigsburg angekommen muss ich auf meinen Schlafplatz warten und ich überbrücke die Zeit mit dem besten Kellerbier Baden-Württembergs und „Kässspätzle“. Integrationstest bestanden!

Der nächste Tag stellt für mich einen Tiefpunkt dar. Zwar ist die Fahrt durch Stuttgart wider Erwarten relativ angenehm und schön. Im Park treffe ich an einem Trinkwasserbrunnen eine junge Frau die mich nach meinem Ziel fragt. Es stellt sich raus, dass sie selber demnächst die Nordsee entlang fährt, bloß auf einem Hollandrad und ohne Geld. Abenteuer gehen eben auch in Deutschland. Das erste mal spricht mich in Deutschland jemand mit ernsthaftem Interesse an der Tour einfach an, was mich in dem Moment wirklich freut. Aber warum braucht es vorher 600 km!? Der Tiefpunkt kommt jedoch später am Tag, da ich in der Ecke Göppingen nur noch durch Industriegebiete und Stadtzentren fahre. Das ist nicht schön, ich komme nicht voran und es fängt auch noch an zu regnen.
Als ich feststelle, dass ich mein Tagesziel kaum noch erreichen kann, ich überhaupt keinen Spaß heute habe und noch eine extreme Steigung über mehrere Kilometer kommt platzt mir einfach der Kragen. Was für ein beschissener Tag. Ich beschließe also tatsächlich ein Stück Zug zu fahren. Zu allem Überfluss muss ich das Rad mit Gepäck zwei Etagen den Bahnsteig hoch tragen.
Nun sitze ich im Zug und an mir vorbei ziehen die Kilometer, die ich eigentlich mit dem Rad fahren sollte. Ich weiß nicht ob es die Industriegebiete, das Wetter, der Kater von gestern Abend oder die anstehende Steigung waren, aber ich wollte mir das nicht mehr antun. Die Sache kommt mir vor wie Fremdgehen. Ich habe Angst meiner besseren Hälfte zu begegnen und bin enttäuscht von mir selber, dass ich schwach geworden bin, nur weil es im Augenblick keinen Spaß mehr macht. Hoffentlich lässt das nicht auf andere Eigenchaften von mir schließen.

Nach knappen 30 km steige ich wieder aus. Der Bahnhof liegt im Nirgendwo. Nur mein Navi weiß wo ich bin. Ich folge ihm und wie sich herausstellt eröffnet sich nach der gefürchteten Steigung eine ganz neue Landschaft. Die Hochebene riecht nach jungem Regen und auch der glitzernd Asphalt lässt darauf schließen. Es riecht frisch und die Luft ist kühl obwohl die tiefstehende Sonne die Felder und Auen streift. Das Wasser evaporiert durch das gleiche Sonnenlicht, welche es zu leuchtendem Nebel macht. Statt Industriegebieten also Wald, Feld und die Straße auf der ich mich bewege. Ich fasse auf einmal neue Motivation und mir geht es so gut wie noch nie auf der Tour.
Auf einem Stück gerader Bundesstraße stelle ich sogar einen neuen Geschwindigkeitsrekord auf. 15 kg Rennrad, 30 kg Gepäck und 70 kg pure Euphorie werden mit gut 45 km/h über des Asphalt katapultiert. Verdammt, ist das schön hier. Und ich erreiche kurz nach dem ersten Servus auch noch rechtzeitig den Campingplatz. Tatsache: Ich habe soeben Bayern erreicht. Das muss der Grund sein, warum ich so gut drauf bin.
Next Stop: Augsburg. In einem kurzen Tag an der Donau auf der falschen Seite ohne Radweg und der ebenso schönen Lesch entlang. Mit einem kurzen Stopp, um mir „RosaSchleim“ – bald eine Eigenmarke – warm zu machen. Kurz vor Augsburg quere ich eine Brücke und versuche mich an viel zu coolen jungen Erwachsenen vorbei zu klingeln. Als diese erst Platz machen, da sie meine Aufmachung mit Gepäck sahen, fragt einer von Ihnen: „Wo willst‘ so schnell hin?“ Ich: „Spanien.“ Er: „Spanien?“ Ich mit Daumen in der Luft: „Jo. Spanien.“ … Nach kurzer Pause er so: „Kauf dir’n Hut!“ Ich lache laut auf und merke wie meine Laune noch besser wird.
Den Abend penne ich bei Jana, einer Freundin aus der Heimat. Ich hatte ihr lediglich erzählt, ich sei im Fahrradurlaub und würde gerne in Augsburg übernachten. Sie sagte ich könne bei ihr pennen, aber sie habe wenig Zeit für mich. Als jedoch auch sie mich und mein Gepäck ungläubig mustert, erkläre ich ihr meine eigentlichen Pläne und sie nimmt sich die Zeit für mich. Als würde sie mir um jeden Willen was gutes tun wollen, verbringen wir den Abend miteinander, essen Burger, trinken Craftbeer und reden über das Reisen. Und das in dem für seine Schönheit viel zu wenig beachteten und nur mit der Puppenkiste und den Fuggern assoziierten Augsburg.

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