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[B]logbuch #01 – Vertrauen gewinnen

Mit pünktlichen Abfahrten habe ich es ja nicht so. Auch heute komme ich erst um 13:00 Uhr los. Vorher musste ich noch die aussortierten Sachen wegbringen, damit sie den Weg in die Heimat finden, so dass meine Eltern mir diese evtl. nachschicken können. Dann kam mir da auch noch ein Frühstück im Café dazwischen. Als ich dann doch um 12:30 mein Fahrrad die Treppe runter trage und das Gepäck befestige, erinnert mich ein Bewohner des Nachbarhauses mit dem Zeigefinger auf das entsprechende Schild, dass es nicht erlaubt sei das Fahrrad in die Einfahrt zu stellen. Sieht er denn nicht, dass ich es belade? Das ist meine erste Erinnerung daran, dass ich schleunigst das Land verlassen muss. Nur noch knapp 800 km bis zur Grenze, glaube ich.
Ich verlasse Münster und gebe mich voll dem Gegenwind hin, der mich beim Tourstart begleiten möchte, als wolle er mir sagen: „Du bist nicht allein. Ich werde dir stets folgen.“ In Ottmarsbocholt wundern sich die ersten Menschen über meinen Aufzug. Als mich ein älterer Herr nach meinen Ziel fragt, sage ich ihm, dass ich nach Bochum fahre und er wundert sich über das viele Gepäck. Und schließlich erzähle ich ihm von meinem eigentlichen Ziel. Er scheint mir nicht zu glauben, dass ich mit dem Rad nach Gibraltar fahren möchte und auch nachdem ich ihm meine Ausrüstung erklärt hatte, er mir eine gute Reise wünschte und zurück ging auf den Hof, von dem er zuvor kam, wirkte er ungläubig.

Ich folge der weiteren Strecke, die meist an Bundesstraßen verläuft, bis nach Datteln, wo ich die erste Pause einlege und – ja tatsächlich – eine meiner zuvor gekauften Datteln zu mir nehme. Zufälle gibt’s! Ab Datteln wird der Weg jedoch schlechter. Nur noch selten gibt es einen Radweg, sondern lediglich 1 Meter Platz zwischen den parkenden Autos und den wegen mir ausscherenden Autos auf der mehrspurigen Straße. Im Ruhrgebiet scheint man sich nicht so wie in Ottmarsbocholt über schwer bepackte Radfahrer zu wundern, sondern über Radfahrer im Allgemeinen. Zugegebenermaßen ich fahre auch die gesamte Herner Straße durch Bochum. Schon eine Hauptverkerhsachse der Stadt. Aber hier liegt nun mal auch mein Tagesziel: Das deutsche Bergbaumuseum. Erschöpft lege ich mein Fahrrad auf die Seite und mich daneben. Gute 70km am ersten „offiziellen“ Tourtag. Ich verbringe die Nacht bei einer Freundin, die ich aus Schulzeiten kenne. Wir fahren Abends noch in die Stadt. Sie ins Theater und ich ins Blondie’s Diner, wo ich Jahre zuvor meinen ersten guten Burger gegessen habe. Somit habe ich auch direkt am ersten Tag mein Tagesbudget um 1,00 € überschritten. Gut Jens!


Der nächste Tag beginnt mit etwas Radpflege. Reifen aufpumpen und Kette ölen. Wie konnte ich das in der Vorbereitung vergessen. Aber da mich am Vortag jeder einzelne Pedalschlag mit dem obligatorischen „krrks“ an mein Versäumnis erinnert hatte, tue ich mir und dem Fahrrad den Gefallen. Um 10:00 Uhr – erneut später als gehofft – beginnt der zweite Tourtag. Da noch nicht klar ist, wo ich die Nacht verbringen würde, habe ich vor möglichst schnell an den Rhein zu kommen und über Düsseldorf und Köln zu fahren. Die Route mit dem „besten“ Strecke-zu-Steigungs-Verhältnis führt über Essen und Ratingen.
In Essen zieht sich die Strecke über eine Hauptstraße ohne Radweg über 2 km bergauf. Während ich mich hochschleppe hupt mich ein weißer Bulli an. Der Fahrer, Gärtnermeister würde ich sagen, lehnt sich über den Beifahrersitz, wo der Lehrling als einziger beschämt und voller Furcht auf die Straße vor ihm schaut. Der Meister schreit mich an: „Fahr auf dem Radweg du Vollidiot!“ Ich fahre rüber und scheine bei der Anstrengung nicht gemerkt zu haben, dass er 5 m zuvor begann. Es scheint mir ich werde jeden Tag mindestens einmal in Form penibler Regel und Vorschriften daran erinnert noch in Deutschland zu sein. Hinter Essen erlebe ich sie bislang stärkste Steigung. Nach einer „relativ sanften“ Anstieg auf eine schönen Weg auf eine Bergkuppel und vermeindlich höchsten Punkt der Route folgt der eigentliche Gipfel mit gefühlten und realen 10-15% Steigung, die ich mich mit knapp über 5 km/h nach oben schreie. … Das war also diese kleine Spitze auf dem Höhenverlauf des Navis!

Nach 2,5 Stunden bin ich in Ratingen. In der Zeit habe ich gerade mal 35 km geschafft. Jedoch auch knappe 509 Höhenmeter der Tour. Ab jetzt geht es nur noch bergab. Ich fahre durch Stadt- und Industriegebiete und komme schließlich bei Dormagen über den Rhein. Dort gibt es eine Fähre die mehr quer als vorwärts über den Rhein fährt! Mittlerweile steht auch fest, dass ich die Nacht in Bonn verbringen werde. Es ist 15:00 Uhr und ich habe noch 70 km vor mir!

Ab jetzt nur noch den Rhein rauf. Meist auf Radwegen, jedoch auch auf extrem schlechten Radwegen vorbei am Ford-Werk in Köln. Hier will man einfach zeigen, dass das Auto das bessere Fortbewegungsmittel sei. Ich sehe es anders und trotze dem vom Wurzelwerk hochgedrückten Asphaltkanten und den nicht ausgebesserten Schlaglöchern. Meine schönen Mavik-Felgen mögen es mir verzeihen. Das Kölner Rheinufer und den Dom lasse ich links – bzw. rechts – liegen. Auch an dem Streetfood-Fest fahre ich vorbei. Hoffentlich gibt es heute Abend was ordentliches zu essen.

Um 19:00 Uhr erreiche ich das Bonner Stadtgebiet. Ich schreibe meinem Kontakt Uwe, damit wir uns treffen können. Jetzt noch einmal die letzten Meter bergauf zum Schloss. Auf der Zielgeraden auf einer geschotterten Allee wird mir mal wieder klar, wie schön diese Stadt doch ist. Nach 10 Stunden unterwegs, habe ich mein Etappenziel erreicht. Ich drehe mich etwas in Trance um und entdecke ein Foodsharing-Festival. Bonn, warum bist du so gut zu mir?


Uwe taucht mit mehreren hundert weiteren Radfahrern auf. Ich bin hier gerade mitten in das Critical Mass Bonn geraten. Uwe, ein großer, schlanker Mann, längere braune Haare, erkannte ich daran, dass er mir mit zwei Tellern zuwinkt. Wir bedienen uns am wirklich riesigen Buffet und tauschen Urlaubsgeschichten aus. Uwe und seine Freundin Susanne – ebenfalls Wanderer und Radurlauber, sogar Segler und Folklore-Musiker – haben vor ein paar Jahren in Portugal einen Fahrradurlaub gestartet, sind jedoch in Andalusien stecken geblieben und arbeiteten dort auf einer Farm am Meer. Wir stärken uns soweit, dass wir die letzten 10 km zum Haus fahren können.

Ich trage das Fahrrad mitsamt Gepäck die Stufen in den Garten hoch, während Uwe alten Freunden in die Arme fällt, die zum Essen vorbeigekommen sind. Schließlich treffe ich auch Susanne. Ich werde von allen mit Umarmung begrüßt und nachdem ich mich frisch gemacht habe, verbringen wir den Abend mit einem großen Schüssel unglaublich leckerem Salat, Brot vom Foodsharing, Wein sowie weiteren Geschichten. Keiner scheint sich an meiner Anwesenheit zu stören.

Es ist gerade mal der zweite Tourtag und ich bin völlig zufrieden. Nicht nur, dass ich heute über 140 km gefahren bin – so langsam fange ich an dem Rad zu vertrauen -, vor allem habe ich mit Uwe und Susanne bereits jetzt unglaublich nette und offene Menschen getroffen, die sich nicht nur gut um mich gekümmert haben, sondern sich auch für meine Idee begeistern konnten und mir noch einige Tipps mit auf den Weg gaben. Es ist schön gleich zu Beginn der Tour auf so gute Menschen zu treffen. Das macht Mut für alles, was noch kommen wird.

Ich liege auf Sonnenliegen und Matratze unter dem Dach der überdachten Terrasse mit Blick auf den beleuchteten Drachenfels uns als schließlich auch das Geräusch eines leichten Regens einsetzt, steht dem erholsamen Schlaf nichts mehr entgegen.

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