[B]logbuch #07 – Ist das schon Italien …
… oder sind das die Alpen? „Hallo, was darf es sein?“ … „Ist bei Ihnen noch alles in Ordnung?“ … „Hat es geschmeckt?“ Also wie Italien fühlt sich Trient am Etsch oder Trento sul Adlige ja noch nicht an. Hier gibt es noch für alle Flüsse, Städte, ja sogar Straßen einen deutschen und italienischen Namen.

Ich verlasse also Eppan, da mein Aufenthalt bei Christa von meiner Durchreise bestimmt ist. Erstmal bergab am Kalterer See vorbei. Hier sollte man im Oktober mal vorbei schauen, da hier das Tochter-Festival vom Haldern Pop das Kaltern Pop stattfindet… und weil der Weg durch die Weinberge und der Blick auf den See einfach wunderschön ist. Auch der Verkäufer an dem Obststand an der Straße spricht lieber Deutsch mit mir. Also ist das hier deutsche-österreichische Kultur auf italienischem Boden? Oder ist es wie ein Professor von mir sagt – und seine Frau ist Italienerin: „Italien beginnt erst südlich vom Po.“ Alles andere ist quasi Österreich. Im Grunde genommen ist das doch egal, denn erstens mag ich die Kultur der Alpenländer irgendwie und zweitens ist Italien eh total bunt und kann wohl auch den deutsprachigen, alpinen Einfluss verkraften.
Ich folge an diesem Tag der Etsch. Es wird verdammt heiß und kurz vor Trient gibt es eine Trinkwasserstelle, die ich ausgiebig nutze. Trient selbst nutze ich nur für eine Mittagspause inklusive Pizza bestellen auf deutsch sowie für einige wenige Fotos. Ich folge also dem Fluss bis zu dem Punkt als das Tal zwischen zwei Bergen eine Passage zum Gardasee bildet. Ebenso folgt eine Gruppe von gut 20 österreichischen Mountainbikern diesem kleinen Fluss. Also folge ich auch Ihnen und sie immer wieder mir, je nachdem ob die Strecke mehr Rennrad- oder mehr Mountainbike zulässt. Vor dem Gardasee sehen wir uns das letzte mal, teilen noch kurz unsere Geschichten und trennen uns schließlich.

Der Camping am Gardasee, den ich angestrebt hatte ist eigentlich voll, man sieht mir meine Ermüdung aber offenbar deutlich genug an, dass ich noch einen Platz zwischen Parzelle und Terrasse bekomme. Also schnell Zelt aufbauen – das Wetter ist gut und der Boden hart, also keine Leinen abspannen – Baden im See statt duschen – eine gute Alternative da nachhaltiger, schneller und außerdem ist es einfach atemberaubend, wie sich hier die Alpen wie Fjorde todesmutig in den See stürzen. Im Anschluss Kochen, Essen und Wein genießen bevor ich seit langem mal wieder im Zelt und alleine schlafe. Morgen will ich früh raus.

Die Nacht wird jedoch ziemlich schnell ungemütlich. Ich hatte mir für 06:30 den Wecker gestellt, werde jedoch bereits um 06:00 Uhr wach als gerade ein Gewitter und Sturm aufzieht. Jetzt holt mich die Entscheidung das Zelt nicht abzuspannen wieder ein, denn es ist auf dem Terrassencamping völlig dem Wind ausgesetzt. Also raus aus dem Bett, Heringe in die Hand und rein in den Sturm.
Ich öffne das Vorzelt und der Wind drückt in die Apside. Ich bin nicht der einzige Mensch auf den Beinen, der versucht sein Hab und Gut zu retten. Es ist gerade hell genug um zu sehen, was vor einem passiert. Meine Radlerwäsche hängt zum Glück noch an dem Geländer. Ich schaue nach oben, wo sich die Kabel der Strommasten aufschwingen. Die Gipfel der anderen Uferseite sind nicht zu sehen, da sie von dicken Wolken umhüllt sind, welche in einem unregelmäßigen Flackern aufleuchten. Lediglich einige Wolkenlöcher weiter nördlich lassen erahnen, dass die Sonne bald aufgehen wird. Der Blick auf den See verdeutlicht noch einmal welche Kraft der Wind hat. Der Druck auf meinem Gesicht seine Richtung. Der erste Donner kracht wie ein Felsbrocken über den See, reflektiert an diesem Ufer und wird alternierend zwischen den Ufern hin- und hergespielt. In diesem Moment wird einem die Größe des Sees und die Monumentalität seiner Berge bewusst. Es liegt eine bedrohliche Schönheit in diesem Augenblick.
Ein erneuter Donnerschlag erinnert mich an meine eigentliche Absicht. Ich greife nach den noch Nassen Fahrradklamotten und werfe sie ins Vorzelt. Mit einem Stein schlage ich zwei Heringe vor und hinter das Zelt in den harten Boden und befestige provisorisch jeweils zwei Leinen daran. Die Luft kühlt schlagartig ab und es beginnt zu regnen. Ich gehe zurück ins Zelt und verschließe die Apside, lasse aber das Innenzelt offen, da mir die Kühle gerade ganz recht kommt. Ich brauche jetzt sogar meinen Schlafsack. Der Donner spielt weiter seine wiederkehrende Melodie und ich schlafe über dem Geräusch des Regens wieder ein – für mehrere Stunden.
Ich komme also viel zu spät aus dem Bett und der Tag ist sehr anstrengend. Je weiter man in den Süden kommt, desto flacher wird die Landschaft. Berge werden zu Hügeln und bieten Platz für viele touristische Attraktionen. Geschäfte, Clubs und sogar Freizeitparks. Überall sind Parkplätze und an den Stränden ist es proppenvoll. Da ich seit der Überquerung der Alpen ein taubes Gefühl im kleinen linken Finger habe, beschließe ich mir Fahrradhandschuhe zu kaufen. Außerdem landet meine jüngst getauschte Unhängetasche auf dem Gepäckträger. Wahrscheinlich habe ich mir einen Nerv abgeklemmt und auf diesem Weg hoffe ich diesen zu entlasten.
Die Touristen möchte ich hinter mir lassen, schaffe es aber bis zum Ende des Tages nur einige Kilometer südlich vom Gardasee. Es gibt keine Fotos von der Etappe, denn dazu fehlt mir die Motivation. Leider gibt es auch keine Videoaufnahmen, denn die Akkus der Kamera sind alle leer. Da ich keine Untekunft in Mantova gefunden habe, fahre ich einen Campingplatz an. 50 auf 400 Meter Wiese und kaum ein Mensch dort. Das Sanitärhaus ist weitere 50 Meter lang besteht aus zwei gefliesten Hallen, welche verschlossen sind. Es hängen noch alte Banner irgendwelcher Feierlichkeiten halb befestigt von der Decke. In der Mitte trennen 4 Toiletten und 4 Duschen die beiden Räume. Dass es ein Campingplatz ist, erkennt man auch nur an der Weihnschtsbude von Rezeption. „Ciao, I would like to stay here for a night.“ – „Where? I dont see a free spot.“ Keiner lacht. … Was für ein trauriger Ort.
Mantova erreiche ich am nächsten Mittag. Endlich eine Stadt, die sich wie meine Vorstellung von Italien anfühlt. Enge Gassen, alte Häuser mit bröckelnden Fassaden, Arkaden, Kopfsteinpflaster und viele, viele Menschen auf der Straße. Hier gibt es einen Dom, den ich aus Architekturgeschichte kenne, sowie viel zu teures Bruscetta. Ich glaube Romea und Julia spielt auch hier. … wie auch immer!

Später fahre ich durch die schier unendliche Emiglia Romana. Diese Region scheint die Kornkammer Italiens zu sein. Wo man hin sieht nur Felder. Es ist weit über 30 Grad und es weht ein ebenso warmer Wind von vorne. Ich komme schwer voran und die Orte, die ich passiere sind wie ausgestorben. Überall geschlossene Fensterläden und keine Menschenseele zu sehen. Die Strecke nimmt kein Ende und zum ersten Mal fühle ich mich auf der Reise wirklich allein. Ich bekomme Zweifel daran ob es eine gute Idee war alleine auf Reise zu gehen und habe kaum noch Motivation weiter zu fahren.
Als mir das Wasser fast ausgeht treffe ich doch noch einen gefährlich aussehenden tätowierten Mann mit Ziegenbart und Glatze vor einen Billiard-Café. Der Rauchende trägt Tanktop, abgeschnittene Hose und Stiefel. Wahrscheinlich ein Biker. Ich frage ihn vorsichtig auf Englisch nach einem Supermarkt und bringe ihn damit in Verlegenheit. Er lacht und kratzt sich am kahlen Hinterkopf. Mit Händen und Füßen erklärt er mir den Weg und wünscht mir, glaube ich, eine gute Reise… sehr nett. Die einsamen Wölfe halten zusammen.
Die Strecke zieht sich ins Extreme und erst spät am Abend erreiche Modena. Hier nehme ich mir ein Hostel, denn ich werde morgen einen Tag hier verbringen, mich erholen und überlegen wie es weiter gehen kann. Da ein Dormitorium deutlich günstiger ist, teile ich mir mein Zimmer mit einem alten italienischen Mann, der mir unmissverständlich zu verstehen gibt, dass er nicht reden sondern sich einige Drinks gönnen will… eine gute Idee. Das werde ich auch tun. Ich finde meinen Lieblingsort in Modena. Gleichgesinnte. La bicicletta.


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