[B]logbuch #08 – Das weiße Kaninchen
Wäre ich Alice, wäre dies das Wunderland. Voller Absurditäten und Verrücktheiten und während ich versuche wieder zu alter Größe zu gelangen und wieder in die normale Welt zurückzukehren, verliere ich völlig die Kontrolle und lasse mich vom Geschehen treiben.
Diese Geschichte beginnt also mit einem Traum. Ich liege im Bett und gegenüber von mir ein nackter alter Mann, der so laut schnarcht, dass er den ratterndem Ventilator übertönt. Neben dem Ventilator sitzt ein junger Mann mit dunklen Teint und Vollbart – vielleicht ein Inder auf Selbstfindungstrip in Europa – rauchend unter dem Feuermelder. Vor ihm eine halbe Pizza in einem aufgerissenen Karton. Er schaut mich mit weit aufgerissenen Augem an ohne auch nur einWort zu sagen oder zu blinzeln. Er dreht seinen Kopf zur Seite und ich mich noch einmal um meine eigene Achse.
Es ist hell. Nicht im Zimmer, aber die Lamellen der hölzernen Fensterläden werden vom Tageslicht illuminiert. Ich richte mich auf. Der nackte alte Mann ist nicht mehr dort, wo er vorher noch zu sein schien. Das Bett ist gemacht als hätte dort nie jemand gelegen und der junge Inder neben dem Ventilator lässt sich von der Putzfrau auf italienisch beschimpfen. Ich muss hier raus. Auf die Straße wo überhaupt niemand ist.

Ich verfolge den Weg von gestern Nacht so gut es meine Erinnerung zulässt. Zurück zu la bicicletta. Ich brauche etwas um das Bier und den Whiskey von gestern Nacht aufzusaugen. Etwas, dass mir wieder Energie verschafft. Ein großes Glas Aqua Minerale, espresso Macchiato und Gnocco Fritto soll helfen. So soll es sein. Ein Glas Wasser, einen Espresso mit Milchschaum und ein Brötchen aus frittiertem Blätterteig. Zwischen den beiden Hälften feinster Prosciutto. In der zweiten Runde Blaubeerkuchen und ein Latte Macchiato. Ich schiebe die ersten 10€ über den Tresen und während ich nach Kleingeld suche bekomme ich das Wechselgeld zurück. Das muss ein Traum sein.

Ich verspüre den plötzlichen Drang nach Erlösung und stehe vor einem blutroten Laken. Der Wind schiebt es vor mir her und lässt mich passieren. Steine sind gestapelt zu einem Konstrukt, das weniger der Schwerkraft als dem Alter zu trotzen scheint. Licht bricht durch die Fenster und als der Wind das Laken aus dem Bauwerk zieht, zieht es mich ebenfalls raus. Die Sonne steht hoch und noch immer ist diese Stadt – abgesehen von einigen Träumern wie mir – menschenleer. Die Sonne wandert und ich bin wieder in einem Café. Versuche Worte zu formulieren. Erst als die Sonne tief genug steht, um die Fassaden nicht aber die Straßen zu illuminieren, kriechen die Menschen wie Kaninchen aus ihrem Bau. Die Stadt füllt sich wieder langsam mit Menschen und wird stetig lauter. Welch eine Wohltat.

Ich fühle mich wieder lebendig und ziehe nach eigenem Willen durch die Straßen. In einer Gasse leuchten ruhig bunte Lichter und es schallen laut Stimmen über die Kreuzung. Ich folge der Quelle. Und dort verlockt man mich mit Angus-Burger und Craftbeer. Ich kann nicht widerstehen und beiße zu, nehme einen tiefen Schluck, bis mich schließlich die gewohnten Laute von Gitarre, Schlagzeug und rauhem Gesang anlocken. Ich renne erneut eine Gasse hinunter, um der Quelle des Getönes auf die Spur zu kommen.

Schließlich stehe ich unter einer grob gemauerten Arkade. Es ist voller Menschen. Es gibt Essen. Es gibt Musik. Es gibt jede Menge Getränke. Es ist laut, pure Lebensfreude. Ein älteres Ich begrüßt mich mit: „ciao amico. Everything alright?“ Der Ort kennt mich und ich kenne den Ort… Ach, was soll’s!? Never stop a running system.

Comments (0)