B[l]ogbuch #10 – Auf Abwegen. Teil 1
Ich weiß nicht, was nach Monte Cucco passiert ist, aber irgendwie ging alles den Bach runter. Wahrscheinlich nahm in Grossetto alles seinen Lauf. Ich kann mich auch nicht mehr dran erinnern, was zwischen den beiden Orten passiert ist. Vielleicht weil alles beschissen war oder weil ich lange nicht mehr geschrieben habe.
Grossetto erreiche ich am Mittag und da die Restaurants alle dicht sind, bin ich gezwungen bei Burger King zu essen oder mit leerem Magen zu fahren. „Nun ja, vielleicht ist es ja besser als in Deutschland.“, denke ich mir. Aber nein. Es ist der gleiche Mist, wie wir hier serviert bekommen. Sowieso ist Grossetto eine Stadt die nur aus Wohnblöcken, Billig-Läden und Shopping-Malls mit ihren riesigen Parkplätzen zu bestehen scheint. Ein absolutes Drecksloch.
Ich verlasse Grossetto Richtung Süden, jedoch stehe ich nun auf einer Autobahnauffahrt. Man Navi sagt mir, ich solle diese nehmen und deklariert die via Autelia als Bundesstraße. Während ein Schild mir sagt, dass Fahrräder erlaubt sind, spricht ein anderes Schild 50 Meter weiter das Gegenteil. Ich fahre auf die Autobahnbrücke und sehe einige hundert Meter südlich ein Schild, dass die Autobahn endet. Ich versuche jedoch erstmal einen anderen Weg zu finden. Es braucht etwa eine Stunde bis ich einen gefunden habe. Alle anderen Versuche endeten entweder in Sackgassen, vor Flüssen, Bahndämmen oder gesperrten Privatwegen. Dieser Weg führt zwar durch die Berge, aber besser als nicht weiter zu kommen. Nach einiger Zeit jedoch lande ich gerade mal einige Hundert Meter hinter der Autobahnauffahrt, aber anscheinend ist diese Straße jetzt eine Bundesstraße. Ich beschließe also ihr zu folgen.
Die Autos dürfen hier nur 70 fahren und es gibt einen Seitenstreifen. Jedoch sind es auch vier Spuren, die durch einen Leitplanke getrennt sind und somit ein starkes Autobahngefühl vermitteln. Immer wieder gibt es sogar Grundstücke mit Auffahrten an dieser Straße. Ebenso Kreuzungen, die von Kleinen Straßen oder Schotterwegen bedient werden. Man Erkenntnisse am besten daran, dass die Leitplanke für einige Meter aussetzt und die Geschwinsigkeit auf 40 km/h reduziert wird. Jedoch werden diese Situationen immer weniger. Stattdessen dürfen die Autos immer öfter ohne Limit fahren und schließlich verschwindet auch der Seitenstreifen. Das einzige was diese Straße noch von einer Autobahn trennt ist die fehlende Leitplanke außen.
Die meisten Autofahrer machen genug Platz und fahren auf die linke Spur, als mich an einer Auffahrt ein LKW hupend auf die Seite drängt, habe ich diesen Schreck meines Lebens. Ich reiße den Lenker nach rechts und ziehe die Bremsen. Ich habe genug von dieser beschissenen Straße. Ich fahre von der Auffahrt runter und suche nach einem anderen Weg. Mein Handy verrät mir, dass es eine Straße nach Norden gibt, die sich im Nichts verliert, aber Norden ist für mich eh die falsche Richtung. Außerdem gibt es einen Bahnhof. Ja klar, besser als die Autobahn. Aber die eingeschlagenen Scheiben, die fehlender Schilder und mein Handy verraten mir, dass hier schon lange kein Zug mehr gehalten hat.
Es hilft nichts zurück auf die Autobahn. Ich fahre bis zur nächsten Ausfahrt. Dieses mal unter dem Hupen der Autos. Ich fahre ein Stück parallel zur Aurwlia, denn mein Navi sagt mir, dass es hier einen Weg gibt. Bis ein mir entgegenkommendes Auto anhält und mir auf Italienisch zu verstehen gibt, dass es eine Sackgasse ist und der einzige Weg über die Aurelia führt. Noch ein letztes Mal für diesen Tag fahre ich auf diese Höllenstraße bis zu einem Ort, welcher wieder weitere Wege eröffnet. Unter Adrenalin fahre ich die meiste Zeit schneller als 30 km/h, habe aber auch so wenig Spaß wie noch nie zuvor auf der Tour. Ja ich fange sogar an ihren Sinn zu hinterfragen.
Die letzten Kilometer schaffe ich ohne die Aurelia auf ganz schönen Straßen parallel zur Küste und ich komme doch noch lebendig am Campingplatz an, wo mich die schlechteste Lasagne Italiens und eine Schlaflose Nacht aufgrund von lauten Fernsehern und zwei in unterschiedlichen Rhythmen ertönenden Piepgeräuschen, die über denngesamten Campingplatz dröhnen. Was für ein beschissenes Loch dies doch ist!
Mein Tagesziel für den nächsten Tag: nach Süden zu fahren ohne auf die via Aurelia zu kommen und auf Höhe Roms zu kommen, ohne nach Rom selbst zu kommen. Ich habe mir abends eine Route parallel zur Aurelia gesucht, die über Landstraßen führt, was zwar langsam, aber sicher ist. Und für eine Weile geht das auch gut, bis ich vor einem im Bau befindlichen Kraftwerk stehe und ich entweder zurück oder auf die Aurelia fahren muss.
Zurück kommt nicht in Frage und ich hoffe auf ein ruhiges Stück Aurelia mit Seitenstreifen. Jedoch ist das Glück nicht auf meiner Seite. Ich fahre unter ständigem Hupen und nicht bremsenden LKWs, die einem halben Meter an mir vorbeirasen, wieder bis zur nächsten Abfahrt. Ich stehe kurz hinter dem Kraftwerk. Hoffentlich geht es jetzt nur noch auf diesen Wegen weiter. Stattdessen braucht es wieder nur wenige Kilometer, bis mich das Navi auf die Aurelia schickt. Aber keine zehn Pferde kriegen mich auf diese Straße.
Ich bedchließe also parallel auf den Feldern zur nächsten Stadt zu schieben. Als jedoch mein Rad bereits nach kurzem im Sand versinkt und ich es mit all dem Gepäck nicht mehr halten kann, merke ich, das auch dies keine Alternative ist. Eine meiner Lowrider-Halterungen löst sich außerdem, da die Tasche beim Sturz nach oben gedrückt wird. Da es das einzige Ersatzteil ist, dass ich unterwegs garantiert nicht ersetzt bekomme, habe ich Glück, dass sie nicht beschädigt ist, sondern sich nur gelöst hat.
OK. Plan B: wenn schon über die Aurelia, dann wenigstens mit dem Auto. Ich schiebe zurück zur Auffahrt. So ehrlich wie ich bin stelle ich mein Rad gut sichtbar an das Schild und mich an den Rand der dreieckigen Insel. Für 20 Minuten Strecke ich den Daumen raus, ohne dass etwas passiert außer Hupen und lachenden Gesichtern. Im Ernst? Schadenfreude statt Mitleid!? Aber wie kann ich auch erwarten, dass jemand auf dieser Straße für einen ungepflegten Fremden eine Vollbremsung hinlegt? Ich höre hinter mir das Quietschen von Bremsen. Ich drehe mich um und sehe einen weißen Ford-Pickup. „Scuzzi! Can you help me?.“ Der Mann spricht kaum englisch, lässt sich aber nach kurzer Zeit dazu überreden mich zum nächsten Ort zu bringen. Wir laden also das Fahrrad hinten auf und mich vorne ein. Keine Ahnung wie der Mann heißt, aber diese Freundlichkeit rettet mir gerade den Arsch.

Ich mache erst einmal Pause und muss nachdenken. Ich beschließe nur noch bis Civitaveccia zu fahren und ab dort den Zug zu nehmen, denn mein Navi schickt mich dann wieder auf die Aurelia und mittlerweile glaube ich ihm, dass es der einzige Weg ist. Bis ich dort bin fahre ich circa 20 km Umweg durchs Niemannsland, aber es ist die schönste Gegend, die ich seit Grossetto durchquere.

Der Zug bringt bis Fiumicino, wo wie sich rausstellt der Hauptflughafen von Rom ist. Also fahre ich fast 20 km durch Industriegebiete und um dennGibernzu überqueren, da es nicht anders möglich ist, noch einmal über die Autobahn. Da sie jedoch so voll ist, bin ich schneller als die Autos und fahre einfach am Stau vorbei.
Die Absurdität von Campingplatz liegt inmitten eines Pinienwaldes und Naturschutzgebietes. Absurd deswegen, da er absurd groß und absurd leer ist. Bis ich zu dem Teil komme, wo tatsächlich Menschdn zu treffen sind, fahre ich einen knappen Kilometer. Dort treffe ich auch auf ein Österreicher Paar, welches ähnlich lang unterwegs ist. Sie erzählen mir, dass ich mir den Weg hätte ersparen können, wenn ich durch die Apennien gefahren wäre. Hinterher ist man immer schlauer.
Aber wie zur Hölle kann es sein, dass ganze Dörfer über 50 km oder mehr ausschließlich über die Autobahn erschlossen werden. Wie kann es sein, dass alle Alternativen durch Privatwege unpassierbar werden. Ich verstehe dieses Land nicht und bereue eventuell zum ersten Mal zwei Dinge: vielleicht bereue ich, dass ich in Italien geblieben bin, aber ganz sicher bereue ich jetzt alleine zu reisen.

Comments (0)